"Zwischen den Zeilen"
Renate Günter macht es dem Betrachter nicht leicht. Wähnt man sich beim ersten Hinsehen vor einem anheimelnden-einlullenden Abbild dessen, was gemeinhin unter "romantisch" missverstanden wird, so zeigt schon der nächste Blick, dass hier nicht die Eindeutigkeit der Idylle gemeint ist. Die scheinbare Gewissheit löst sich in vieldeutige Beziehungen auf. Die Arbeiten entziehen sich dem Versuch einer eindeutigen Zuordnung. Es werden weniger Fragen beantwortet als Fragen aufgeworfen. Das Vieldeutige wird scheinbar eindeutig, das Eindeutige vieldeutig. Widersprüche werden nicht aufgehoben, sondern ins Bild gesetzt.
So entsteht der Eindruck man könne die Arbeiten von Renate Günter beim ersten Hinsehen begreifen. Doch schnell tut sich eine zweite Bildebene auf. Scheinbar einfache Bildszenen werden zum Gleichnis. Der Betrachter wird verstört und zum Mitdenken aufgefordert: Wir nennen es Fortschritt zeigt im unteren Drittel des Bildes ein blühendes Tabakfeld, wie wir es aus der Rheinebene kennen. darüber wölbt sich ein dunstig wolkenloser Himmel, der einen schönen Sommertag symbolisiert. Eine Idylle- scheinbar-, denn ganz oben, in der linken Ecke fliegt in niedriger Höhe ein Düsenjet (im Übungsflug von Ramstein kommend) und zerreißt mit seinem Motorenlärm diesen stillen Sommertag.
Die Liebe zur Natur spürt man in fast allen Bildern und Fotografien von Renate Günter, Landschaftsbilder waren der Ausgangspunkt und stehen bis heute im Mittelpunkt ihres künstlerischen Schaffens. So sind sie die Basis für ihre Denk- und Problembilder. Im Atelier geschieht quasi die Versachlichung der Natur, verwandelt sich dann weiter zum Ideenbild mit seinen Metaphern. Es entstehen suggestive Bildräume, in die der Betrachter, wie auf einem erhöhten Platz stehend, hineingezogen wird: In Schöne, neue Welt bahnt sich der Betrachter seinen Weg durch ein Maisfeld um unvermittelt vor einem Hinweisschild zu halten,
dass auf die mit Herbizide behandelten Pflanzen aufmerksam macht, um dann erst das Reagenzglas, das gleichsam einer Blütendolde aus den Maisblättern wächst, wahrzunehmen.
Ihre Fotoarbeiten stehen gleichwertig neben den Bildern. Vor allem in den letzten Jahren stehen genaue Beobachtungen, Detailgenauigkeit und das Erkennen des Augenblicks für die Suggestion dieser arbeiten: Agra und Aqua zeigt fast den gleichen Bildausschnitt, nur das es einmal einfallende Sonnenstrahlen sind und zum anderen ein prasselnder Regenguss der die Strukturen auf dem Volant des Autos zeichnet und die Farben der Landschaft verändert. In elle se réveille, einer Fotomontage, wird die Augenpartie eines jungen Mädchens mit den unterschiedlichen Zuständen eines Rasenstückes und Kornblumen in eine
anschauliche Verbindung gebracht.
Text von Ursula Pawlak
"Bummerrang"
Renate Günter, die ihre Ideen malerisch und fotografisch realisiert, beschäftigt sich schon lange künstlerisch mit dem Umgang unserer Gesellschaft mit der Umwelt. Im Bild wird dieses Thema umgesetzt, indem Zeichen für Zivilisation mit Relikten von Natur konfrontiert werden. Dabei beobachtet sie die Gegenstände fotografisch exakt, quasi „gestochen scharf“. Die Bildvorlagen entsprechen jedoch nicht 1:1 der Wirklichkeit. Renate Günter kombiniert in ihren Gemälden Motive unterschiedlicher Herkunft. Die Pflanzen in der Arbeit „Vibrationen“ wurden z.B. an anderer Stelle fotografiert und erst für dieses Bild in den Fordergrund vor dem Strommast inszeniert. Hier wie auch bei anderen Arbeiten wählt die Künstlerin eine extreme Froschperspektive, so dass etwa Graßhalme den gleichen Blickwinkel einnehmen wie Kühltürme von Atomkraftwerken. Der ungewöhnliche Blickwinkel fordert den Betrachter geradezu auf, die Spannung zu reflektieren, die das technisch-kühle Gepräge der Energiearchitektur in der gewissermaßen künstlichen Nähe zur Landwirtschaft erzeugt.
Das Beschauliche der Natur auf der einen Seite und das Monumentale der zivilisatorischen Errungenschaften auf der anderen halten sich in den Werken von Renate Günter gewissermaßen beständig gegenseitig in Schach.
Keine dieser beiden Gewalten erhält hier zunächst die Oberhand, und dieses hochempfindliche Gleichgewicht derart konsequent durchzuhalten, ist die große Stärke dieser Künstlerin.
Text von Dr. Juliane Huber
"Wir sind nur Teile des Ganzen"
Der Titel dieser Ausstellung "Wir sind nur Teile des Ganzen" signalisiert eine inhaltliche Bedrohung. Dieser Titel, "Wir sind nur Teile des Ganzen" besagt recht eindeutig, um was es geht: nicht um das ICH sondern um das WIR. Und dass wir nicht, wie Vielfach angenommen, der Mittelpunkt des Universums, sondern nur ein Teil davon sind.
Dieses ist also die zentrale Botschaft der Künstlerin, die ich als humanistisch-ökologisch determiniert deute. Mir persönlich geht es bei der Malerei aber, und bei der gegenständlichen Malerei erst recht, vor allem um die Form. Umso angenehmer empfinde ich es, dass die besagten Inhalte zumeist subtil vorgetragen sind. Der Inhalt hat die Künstlerin nicht daran gehindert, auf die Formen und auf die einzelnen Gestaltungselemente zu achten, denn dieses ist bekanntlich die häufigste Schwäche der doktrinären Kunst.
Es lohnt es sich, ja es ist bei den Bildern von Renate Günter unentbehrlich, genauer hinzuschauen. Denn da sind zum einen auf semantischer Ebene die Details, in denen sich die Aussage verbirgt. Zum zweiten ist es aber auch die detailgetreue, an manchen Stellen fotorealistisch wirkende Malweise, die diese genaue Betrachtung verdient.
Nehmen wir als Beispiel das bereits erwähnte Triptychon, und als Titelbild der Ausstellung, "Wir sind nur Teile des Ganzen". Überdimensionierte Gesichter (deshalb wird diese Stilrichtung ja auch als Hyperrealismus bezeichnet) schauen den Betrachter frontal entgegen. Und das drei mal. Warum eigentlich drei?
Meine Vermutung ist, dass auch hier eine hintergründige inhaltliche Prämisse im Spiel ist. Ein kleines Pussel-Bild - Element im mittleren Bild gibt Aufschluss. Die Schlussfolgerung aus dem Einsatz dieses Bildelementes ist, dass auch die Menschen nur gemeinsam ein Gesamtbild bilden können, dass jedes Teil nur im Zusammenhang mit den anderen seinen richtigen Platz finden kann.
Manche Bilder sind melancholisch, andere verspüren Vitalität. Aber auch bei den letzteren muss der Betrachter stets auf Überraschungen gefasst sein. Ein schönes Auto ist keine Ästhetische Huldigung an die Technik, sondern erzähl - andeutungsweise und in aller Stille - eine traurige Geschichte: links im Bild ist eine Pfote, sowie ein Blutspritzer zu sehen. Ähnlich das Bild nebenan, das "Früher im Jetzt" - der Schein trügt, auch hier, im Fernglas der anmutigen Beobachterin spiegeln sich die Waldbrände...
Das Paradoxon des schönen Scheins und des irritierenden, beklemmenden bis abschreckenden Hintergrund, offenbart sich aber manchmal auch nur durch den Titel.
So ist bei dem zweiten Auto-Bild in der Ausstellung - dort lässt sich zunächst kein doppelter Boden erkennen - bis man den Titel "Stellenwert" liest, der einen sozialkritischen Diskurs offenbart.
Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die Künstlerin die Konfrontation mit dem Betrachter sucht, und zu diesem Zweck gelegentlich auch provoziert.
Text von Dimitar Nedev